Radsport-Frauenpower pur bei der Deutschen Straßenmeisterschaft 2023 - von nahen und fernen Lokalmatadorinnen / 5. Juni 2023
Text/Autorin: Uli Hugger
In knapp drei Wochen rockt vom 23. Bis 25. Juni 2023 die Crème de la Crème der nationale Radsportwelt die Deutschen Straßenmeisterschaften des Bund Deutscher Radfahrer (BDR) im Südschwarzwald. Genauer: auf der Baar. Leistungssport-Vizepräsident Günter Schabel erwartet grob gerechnet 100 bis 120 Fahrerinnen, die auf die beiden selektiven Strecken im Einzelzeitfahren am Freitag und im Straßenrennen am Samstag zwischen Donaueschingen (Start) und Bad Dürrheim (Ziel) gehen werden. Für Titelverteidigerin Liane Lippert (Movistar) aus Friedrichshafen und für Franziska Brauße (CERATIZIT-WNT Pro Cycling) aus dem schwäbischen Eningen unter Achalm wird es eine Heim-DM werden. Im Teilnehmerinnenfeld stecken aber auch echte Lokalmatadorinnen.
Beim technisch anspruchsvollen Kampf gegen die Uhr über 32 Kilometern werden Nachfolgerinnen in der Elite von Lisa Brennauer und in der U23-Klasse von Ricarda Bauernfeind, die altersmäßig in die Elite aufstieg, gesucht. Auch hier haben heimische Radsport-“Raketen“ große Chancen.
Das Straßenrennen am Samstag über 135 Kilometer und 1800 Höhenmeter ist rein der Frauen-Elite vorbehalten. Lippert steht bei internen Wetten ganz oben. Ein klassischer Meisterschaftskurs mit einer 26-Kilometerschleife, maßgeschneidert für eine „komplette“ Fahrerin. Und ein exklusiver Renntag für die Frauen. Der erste seit der DM 2018 in Einhausen/Hessen. Zuletzt starteten die Radsportlerinnen morgens vor dem Männerrennen, also vor dem medialen „Hauptrennen“. Nun bekommen sie wieder eine eigene Plattform. Ein guter Weg. Obschon Vera Hohlfeld, Koordinatorin für Frauenradsport im BDR, Chefin der internationalen „LOTTO Thüringen Ladies Tour“, Verständnis für Veranstalter hat, die sich einen dritten Renn-Tag mit Straßensperrungen schlichtweg nicht leisten können. „So viele Absperrmaßnahmen. Das können, glaube ich, nur noch ganz wenige in Deutschland. Zumindest sind die Herausforderungen sehr, sehr groß.“ Der Frauenradsport in Deutschland habe noch unglaublich Potential. „Dazu müssen aber alle ihre Hausaufgaben machen, und das vermisse ich ein bisschen“, beklagt sie unter anderem auch die „immer noch bestehende Ungleichbehandlung“ in den Medien. In Donaueschingen/Bad Dürrheim ist das anders. Die Straßenrennen am Samstag und Sonntag werden live im SWR übertragen, sowohl im Fernsehen, als auch in den You-Tube-Kanälen des SWR sowie unter: www.sportschau.de . Hohlfeld, die selbst als als aktive Fahrerin der „Equipe Nürnberger“ 2001 bei der ersten DM in Bad Dürrheim knapp am Podest vorbeischrammte und Vierte wurde, ist gespannt, wer von den Frauen den Titel holen wird. Vielleicht aus dem „Maxx-Solar Rose Women Racing“-Kontinentalteam, dem sie vorsteht. Katharina Fox um Beispiel, die 2022 in Bad Dürrheim den Gesamtbundesligasieg betonierte.
Top-Favoritin ist Liane Lippert (DM-Botschafterin, Deutsche Straßenmeisterin 2018 und 2022, sowie Vize-Europameisterin 2021). Sie checkte bereits den Straßenkurs und findet ihn super: „Anspruchsvoll mit kurzen, steilen Bergen, was mir eigentlich sehr gut liegt. Das erinnert ein bisschen an einen Klassikerkurs. Das ist auf jeden Fall ein sehr spannendes Rennen.“ Die 25-Jährige vom Bodensee freut sich auf die geballte Unterstützung ihrer Familie und den Fans an der Strecke. „Es ist super zum Zuschauen und wird bestimmt eine tolle Atmosphäre, weil man uns gerade an den Anstiegen öfter sieht.“ Augenblicklich ist „Lilly“ im Höhentrainingslager in Andorra - für den „Giro Italia Donne“ und die „Tour de France Femmes“ im Juli. Direkt vor der DM fährt sie die „Tour de Suisse“. „Das passt eigentlich super“, setzt sie auf Topform auf der Baar.
Darauf dürfte ihre ehemalige Vereinskollegin bei der „Seerose Friedrichshafen“, Clara Koppenburg (Cofidis) auch spekulieren. Die gebürtige Lörracherin war im Mai auf Platz zwöf in der finalen Gesamtwertung der Bretagne-Ladies-Tour und der Vuelta-de-Burgos abonniert. Auch für die 27Jährige ist es eine Heim-DM.
Zum Favoritenkreis zählt auch Ricarda Bauernfeind, deutsche Vizemeisterin auf der Straße aus Eichstätt/Bayern, und fühlt sich im Auf und Ab des Südschwarzwaldes und der Baar fast wie daheim. Sie fuhr hier 2021 ein starkes Bundesligarennen und im folgenden Jahr eine Mega-Saison als Europameisterin in der Mixed-Staffel und holte zudem zwei U23-Bronzemedaillen (Straße/EZF) bei der Weltmeisterschaft in Australien. Schwupp ist die Studentin für das Berufsschullehramt für Ernährung, Hauswirtschaft und Sport, die gerade ihren Bachelor rund um die Ernährung von Radsportlern schreibt, Profi beim WorldTour-Team „Canyon-SRAM Racing“ und fühlt sich dort als „Helferin“ wohl. Sie überraschte im Mai bei der Vuelta der Frauen als Gesamt-Fünfte. „Also die DM-Strecke liegt mir nicht zu hundert Prozent. Ich liebe längere Berge“, erklärt bescheidene 23-Jährige, die mit Teamkollegin Antonia Niedermaier und Justyna Czapla (Canyon-Sram-Generation-Team) beim Straßenrennen antritt. Beim Einzelzeitfahren werde die Konkurrenz groß sein, dabei denkt sie an Lisa Klein (Trek – Segafredo), Mieke Kröger (Human Powered Health) und Hannah Ludwig (Uno-X Pro Cycling Team), allesamt World Tour-Fahrerinnen.
Auch Franzi Brauße (Vierer-Olympiasiegerin und mehrfache Welt- und Europameisterin auf der Bahn) ist schnell und freut sich auf die beiden „mega anspruchsvollen“ DM-Rennen. Klasse findet sie es, dass die Frauen ihren Renntag nun endlich nicht mehr mit den Männern teilen müssen. Beim Zeitfahren möchte „Franzi“ in die Top-Five kommen, ein „Podiumsplatz wäre natürlich mega cool, könnte aber schwierig werden.“ Wohl als Helferin für Teamkollegin Nadine Gill (sofern diese wieder fit ist), startet die 24jährige Schwäbin ins Straßenrennen mit dem „Knackpunkt Aasen und seinen mehreren Auffahrten“. Ein echtes Labyrinth wartet dort auf die Fahrerinnen. Sie ist sich sicher: „Bei beiden Wettbewerben kommt es auf eine gute Krafteinteilung über die komplette Distanz hinweg an.“ Einen gewissen Heimvorteil sieht die Botschafterin der Rad-DM in der Fan-Kulisse. Bei einer Stunde Anreisezeit bringt Familie Brauße einen „Bus voller Fans“ mit.
Auch Laura Süßemilch (Fenix-Deceuninck Continental) aus Aulendorf/Ravensburg ist Botschafterin der Straßen-DM 2023. Für die Welt- und Europameisterin von 2021 „ist das Event ein Ziel, auf das ich mich fokussieren kann und welches mich motiviert, um nach meinem schweren Sturz bei der „Tour de France Femmes 2022“ wieder zu alter Top-Form zu kommen.“ Im Mai zeigte sie sich bei der Thüringen-Tour fit und munter. Die Einzelzeitfahr-Strecke finde ich wunderschön. Das Straßenrennen ist hart und selektiv, da muss ich mal schauen, wie es bei mir läuft. Aber meine Fans vom Bodensee werden da sein und mich anfeuern“ freut sich die 26-Jährige bereits auf den feurigen Support.
Aus der DM-Region stammt auch Janine Schneider (VC Hohentwiel Singen/ Bundesliga-Team Baden-Forchheim)
Die Lottstetterin ist frischgebackene Baden-Württembergische Bergmeisterin und auch Landesmeisterin 2023 auf der Straße und hat vor allem auch auf dem Mountainbike Druck.„Ich habe auf der Straße noch viel zu lernen! Let's see!“ Die DM-Strecke tangiert seit Jahren ihre Trainingsrunden. „Ich bin auf die „Aasener Achterbahn“ gespannt! Rennen von den Organisatoren Kai und Rik Sauser, sind schon zu Bikezeiten meine Favoriten gewesen, top organisiert, professionell und doch familiär.“
Zwei echte Local-Heroes sind Lucy Mayrhofer und Annika Baumer, beide studieren in Schwenningen, bzw an der Hochschule Furtwangen. Lucy Mayrhofer widmet sich der Medizintechnik (Master), lebt seit Studienbeginn in VS-Schwenningen und war als Nachwuchsathletin Teil der Nationalmannschaft. Sie fährt seit dieser Saison für die Bundesliga-Equipe „Team Stuttgart“. Villingen-Schwenningen ist zur zweiten Heimat geworden, inklusive Trainingsstrecken. Für die 20jährige Dußlingerin ist „die DM schon auch ein Heimrennen, weil ich die Straßen kenne. Diese fahr ich im Training nun bewusster, auch Intervalle, dann lerne ich sie unter Belastung besser kennen.“ Ein Vorteil, sagt sie. „Die Strecke ist nicht ohne und ist sehr selektiv, vor allem dieser Zickzack in Aasen.“ Dort werde es „echt hart und in einer Reihe durchgeheizt“. Die Zeitfahrstrecke finde sie dagegen „ansprechend“. Alles in allem erwartet Lucy - auch dank der Profis - ein hartes Rennen. Da hilft die lautstarke Unterstützung durch die Familie und Freunden an der Strecke, die es ja nicht weit zum DM-Parcours haben. Ganz bestimmt steht sie am Sonntag dann selbst als großer Fan an einem der Hotspots, um ihren großen Bruder Marius anzufeuern. Der sorgte ja zuletzt mit seiner Performance beim Giro d‘Italia für viel Aufsehen.
Annika Baumer (VC Morteau Montbenoit (U23) studiert „Molekulare und Technische Medizin“ im 6.Semester und wohnt ebenfalls in VS-Schwenningen. „Ja, das ist für mich eine Heim-DM und ich freue mich sehr darauf. Viele Teile der Strecken gehören zu meinen alltäglichen Trainingsrouten, deswegen kenne ich sie schon sehr gut“, bleibt die Merdingerin gelassen. Denn nach eineinhalb Jahren, in denen es krankheitsbedingt nicht gut lief, erwartet sie von der DM nicht so viel, hofft aber, den Aufwärtstrend aus ihren Frankreich-Rennen mitnehmen zu können und freut sich darauf, sich mal wieder im nationalen deutschen Feld messen zu können. „Ich versuche jedenfalls mein Bestes zu geben und so lange wie möglich vorne mitzufahren.“
Last but not least freut sich auch Olaf Janson aus Stuttgart, Chef des dienstältesten Bundesliga-Rennstalls „Team Stuttgart“ auf die Deutsche Meisterschaft. „Das ist für das Team die 29. Saison. Für mich die 28. Ich erinnere mich noch gerne an die letzte DM in Bad Dürrheim vor 22 Jahren. Die lief gut für uns, mit zwei Fahrerinnen in den Top Ten des Straßenrennens. Simone Klewitz wurde Siebte, Regina Schleicher landete auf Platz zehn.“ Beim schwierigen Zeitfahren könnte es diesmal durch Hannah Fandel, Medizinstudentin im praktischen Jahr, die derzeit noch in Freudenstadt lebt, und Neuzugang Karoline Goldschmidt erneut mit Plätzen unter den ersten Zehn in Donaueschingen/Bad Dürrheim klappen. „Das Straßenrennen ist schwierig einzuschätzen. Aber hier würde ich uns nicht chancenlos sehen, um vorne mitzumischen“, blickt der Referent für Frauenrennsport beim Württembergischen Radsportverband gut gelaunt nach vorn und ist gespannt, welches Rad-Ass 22 Jahren nach der Deutschen Meisterin Petra Rossner ganz oben auf Siegerpodest der Kurstadt stehen wird.